Der Maulbeerbaum und die Seidenraupe

Ein Artikel von Ing. Gerald Stiptschitsch | 30.09.2016 - 13:21
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© Archiv

Nach einer mündlichen Überlieferung soll vor etwa 4.700 Jahren der chinesische Kaiser Huang-ti mit seiner Gemahlin Si Li-shi am Ufer des Gelben Flusses spazieren gegangen sein, als Si Li-shi an einem Maulbeerbaum ein seltsames Gebilde hängen sah, das im Wind hin und her schwenkte und in der Sonne glänzte.

Es war der Kokon eines Seidenspinners. Sie entfernte behutsam die äußere Schicht und musste mit Erstaunen feststellen, dass sie aus einem einzigen, hauchdünnen Faden gesponnen wurde. Dieser Faden war viel elastischer und dünner als ihr Haar und sie fand auch an dem feinen Glanz Gefallen. Der Kaiser, der der Entdeckung seiner Gemahlin beiwohnte, kam auf die Idee, viele solcher Fäden miteinander zu verknüpfen, um so einen neuen Stoff herzustellen.

Sofort begann man, sich mit dem Leben der Raupe zu befassen, die sich, um sich zum Schmetterling zu verwandeln, in diesen Kokon hüllt, und erfand letztlich die Seidenweberei.

Ein Symbol mit hohen Ansprüchen

Im China des Altertums gab es bereits staatliche Einrichtungen, die die Qualität des Rohmaterials und der Stoffe prüften und, wie heute noch, mit einem Gütesiegel kennzeichneten. Schriftlich erwähnt wurde die Seide erstmals 1.240 v. Chr. Grabfunde dieser Zeit, die in die Shang-Dynastie fallen, lassen bereits auf eine qualitative Seidenproduktion schließen. Seide wurde zu einem Symbol Chinas und zu einem Ausdruck chinesischer Kultur, denn niemand sonst konnte diesen Stoff erzeugen.

Der Seidenspinner (Bombyx mori) war besonders zahlreich am Mittel- und Unterlauf des Gelben Flusses zu finden. Heute kommt er in der freien Natur nicht mehr vor. Seine Aufzucht erweist sich als besonders schwierig. Wahrscheinlich stellt kein anderes Lebewesen so große Ansprüche wie er. Und er ernährt sich ausschließlich von den Blättern des Maulbeerbaumes.

Der Maulbeerbaum im Garten

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Die Blütenknospen der Maulbeeren erscheinen mit dem Laubaustrieb. © G. Stiptschitsch

Der Maulbeerbaum gehört zur Familie der Maulbeergewächse (Moraceae), die aus milchsaftführenden, vorwiegend holzigen Pflanzen besteht. Er lässt sich in Mitteleuropa problemlos im Garten anpflanzen. Morus nigra, der Schwarze Maulbeerbaum, ist jedoch nur in wärmeren Gebieten ausreichend frosthart (z. B. Weinbauklima). Dagegen kann man M. alba (Weißer Maulbeerbaum) und M. rubra (Roter Maulbeerbaum) bedenkenlos auspflanzen.

Der Maulbeerbaum blüht von Mai bis Juni und ist einhäusig. Das heißt, dass getrennt am selben Baum sowohl männliche als auch weibliche Blüten vorhanden sind. Die männlichen Blüten besitzen vier grünliche, schuppenähnliche Blütenhüllblätter. Sie erscheinen in runden Kätzchen. Die weiblichen Blüten haben neben den vier Blütenhüllblättern zusätzlich einen oberständigen Fruchtknoten mit zwei Narben.

Bei den Früchten handelt es sich um Nüsse, die zu einem Fruchtstand vereinigt sind. Die fleischigen Teile sind aus den Blütenhüllblättern hervorgegangen, nicht aus dem Fruchtknoten, wie sonst üblich. Der Fruchtstand besitzt eine ähnliche Form wie die Brombeere, die allerdings eine Sammelfrucht ist.