Warum es besser ist, Baumwunden nicht zu verschließen

Ein Artikel von GARTEN+HAUS | 07.02.2023 - 13:50
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Jede Schnittmaßnahme ist eine Verletzung, die sich auch durch eine aufgeschmierte Paste nicht wiedergutmachen oder lindern lässt. Sinnvoller ist es daher, zeitgerecht kleinere und fachgerechte Schnitte zu setzen und die Wunden bewusst unversorgt zu lassen. Der Baum schottet sie dann von selbst ab © photowind/Shutterstock

Grundsätzlich gilt beim Baumschnitt: Lieber jährlich kleinere Schnittmaßnahmen durchführen als mit einem starken Schnitt die versäumten Pflegemaßnahmen der vergangenen Jahre aufholen zu wollen. Denn je größer die Schnittfläche ist, desto länger benötigt der Baum, sie vom Rand her zu überwallen. Und je länger dieser Prozess dauert, desto länger haben Schaderreger wie Pilze Zeit, sich anzusiedeln und Fäulnis hervorzurufen.

Wundverschlussmittel sind kontraproduktiv

Bis in die 1980er-Jahre (und teilweise auch heute noch) war es üblich, die beim Schnitt entstehenden Wunden mit Wundverschlussmitteln zu bestreichen – in der Annahme, den Baum dadurch vor dem Eintritt von Schaderregern zu bewahren, ähnlich einem Pflaster, das man auf Wunden klebt. Mittlerweile weiß man es besser: Durch den vermeintlichen „Verschluss“ der Wunden wird Fäulnis eher gefördert, da die Fläche nicht abtrocknen kann bzw. mit der Zeit Risse entstehen, über die Schaderreger eindringen und hinter der vermeintlichen „Schutzschicht“ Schaden anrichten. Zudem stört das „Verschmieren“ der Wundflächen den natürlichen Abschottungsprozess der Gehölze, indem die empfindlichen Kambiumzellen, die für den Wundverschluss zuständig sind, mechanisch zerstört werden.

So reagiert ein Baum auf Verletzungen

Zunächst schottet der Baum die verletzten Stellen ab, noch bevor die eigentliche Überwallung mit Rindengewebe vom Rand her einsetzt: Die betroffene Stelle stirbt oberflächlich ab (verfärbt sich dabei braun) und schützt dadurch das dahinterliegende, gesunde Holz. Diesen Abschottungsprozess nennt man Kompartimentierung.
Bei Nadelbäumen kommt zudem Harz ins Spiel, das an der betreffenden Stelle austritt und das Holz dank seiner antiseptischen Wirkung vor Pilzeintritten schützt.

Wichtig zu verstehen ist die Tatsache, dass eine Baumwunde nicht „heilt“, wie wir es von Verletzungen bei uns kennen. Sie wird lediglich nach innen abgeschottet und nach außen hin überwallt – das aber sehr effektiv.

Was sind gute und und schlechte Kompartimentierer?

Ist die Schnittstelle jedoch zu groß, genügen selbst die Schutzmechanismen des Baumes nicht mehr. Die Definition „zu groß“ hängt dabei von der Baumart ab, denn unter den Gehölzen gibt es gute und schlechte Kompartimentierer.

Gute Kompartimentierer sind z. B. Ahorn, Buche, Eiche, Hainbuche, Ulme, Linde, Platane und Kiefer. Bei diesen effektiv abschottenden Baumarten können Äste mit max. 10 cm Durchmesser geschnitten werden.

Schwächere Abschottungsreaktionen
zeigen hingegen Obstbäume, Walnuss, Birke, Esche, Kastanie, Kirsche, Pappel, Weide, Silber-Ahorn und Fichte. Bei ihnen sind lediglich kleinere Schnittmaßnahmen bis max. 5 cm Astdurchmesser zu empfehlen. Häufig genügt die Einkürzung der Krone im Schwachastbereich, anstelle der Entnahme eines Stark­astes.

Die Lösung: fachgerecht schneiden!

Die Folge unfachgerechter Schnittmaßnahmen können drastisch sein: Nicht nur die Lebensdauer des Baumes sinkt, auch die Bruchgefahr steigt, was wiederum die Verkehrssicherheit verringert. Schnittmaßnahmen sollten daher nur mit Bedacht, zum richtigen Zeitpunkt (während der Vegetationsperiode zwischen April und August, da die physiologische Aktivität der Gehölze wichtig für eine rasche Abschottung ist) und fachgerecht ausgeführt werden (z. B. mit sauberen, glatten Wundrändern, die rascher überwallt werden können).

Achten Sie beim Schnitt zudem darauf, dass keine Aststümpfe stehen bleiben. Diese Stümpfe können vom Baum nicht mehr ausreichend versorgt werden und schwächen ihn. Dann erübrigt sich auch die Anwendung sogenannter „Wundverschlussmittel“.

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